© Xiomara Bender

Eine Premiere in 10 Akten

Auf der Bühne bietet sich dem Opernbesucher das perfekt inszenierte Schauspiel. Doch was geschieht unterdes hinter den Kulissen? Woher weiß jeder Sänger, wann sein Auftritt ansteht? Wie hat sich die Kulisse nach dem ersten Akt so schnell verwandelt? Und was, wenn es zu ungeplanten Schwierigkeiten kommt? Dem Publikum bleibt all das meist verborgen. Die aufregenden, die hektischen und die glücklichen Momente hinter der Bühne. Eine Premiere in 10 eindrucksvollen Bildern aus einem ganz neuen Blickwinkel, festgehalten von Xiomara Bender, erzählt von Marthe Louisa Kröger.


 

Fahrt mit gemischten Gefühlen
Hunderte Telefonate, tausende Emails und unzählige Gespräche mit Musikern, Dirigenten, Akteuren. Jetzt fügt sich alles zusammen. Jetzt muss es passen. Andreas Leisner, der künstlerische Leiter der Tiroler Festspiele Erl, hat neun Monate auf diesen Tag hingearbeitet. Er hat das Programm der Sommerfestspiele leidenschaftlich geplant und alle Puzzleteile akribisch zusammengefügt. Von der Regie über die musikalische Leitung bis hin zu Bühnenbild und Kostüm. Und jetzt ist es soweit. Im Aufzug hat er noch einen kurzen und seltenen Moment der Ruhe für sich, bevor mit Giuseppe Verdis Oper Aida die Sommerfestspiele offiziell und feierlich eröffnet werden.


 

Millimeterarbeit im Gesicht
Unterdes herrscht hinter den Kulissen bereits rauschendes aber perfekt durchgetaktetes Treiben. Bereits zwei Stunden vor Beginn finden sich die ersten Sängerinnen und Sänger des Chors in der Maske ein. Das perfekte Bühnenmakeup ist eine Herausforderung: Intensiv muss es sein, damit auch die hinteren Reihen im Publikum es sehen können. Gleichzeitig muss es authentisch wirken. Die Maskenbildner sind Profis. Jeder Lidstrich ist kunstvoll geschwungen, jede Frisur und jeder Kopfschmuck sitzt wie angegossen. Auf die Details kommt es an. Sie unterstützen das Thema der Inszenierung und komplettieren das Gesamtbild.


 

Premiere ist, wenn man trotzdem lacht
Die Bühnentechniker nehmen die Anspannung der letzten Minuten mit Humor. In monatelanger Arbeit haben sie die Skizzen und Pläne der Bühnenbildnerin und Regisseurin Daniela Kerck mit Hammer und Nagel zusammengefügt. Und dabei so manch verrückten, fabelhaften Wunsch doch irgendwie Realität werden lassen – der nötigen Portion Humor sei Dank. Auch nach der Premiere ist für die Bühnentechniker noch nicht Schluss. Nach jeder Aufführung gehört es auch zu ihren Aufgaben, das Bühnenbild sorgsam abzubauen und die Bühne für die nächste Aufführung vorzubereiten – nicht selten inklusive Nachtschicht.


 

Was das Publikum nicht sieht
Es ist soweit. Der Vorhang ist geöffnet. Die Oper ist in vollem Gange. Von der Seitenbühne aus verfolgen die Akteure das Geschehen im Scheinwerferlicht. Bühnentechniker sind bereit für Anpassungen am Set zwischen den Akten. Die Inspizientin fokussiert sich auf die Partitur. Und der Chor wartet auf seinen nächsten Einsatz. Von hier aus wird mitgefiebert, den Solisten des Abends wird vor ihrem Auftritt noch einmal Glück gewünscht und nach ihrer Solo-Passage werden sie freudig, aber leise in den Arm genommen.


 

Konzentration im Halbdunkel
Vorne auf der Bühne spielt die Musik, doch auch hinter den Kulissen wird nicht geruht. Was hier nach Pause aussieht, ist tatsächlich Arbeit. Manchmal wartet der Chor mitunter eine Stunde bis zu seinem nächsten Bühnenauftritt. Eine gute Gelegenheit für die Chormitglieder noch einmal die Partitur im schummrigen Backstage-Licht auf ihren hell erleuchteten Tablets zu studieren. Denn auch wenn viele von ihnen schon jahrelange Bühnenerfahrung mitbringen – sicher ist sicher!


 

Echte Führungskraft
Sie steht sowohl vor als auch hinter der Bühne im Mittelpunkt: Dirigentin Audrey Saint-Gil. Eine Kamera ist direkt auf ihr Gesicht gerichtet, jede ihrer Bewegungen wird hinter der Bühne auf einem Bildschirm übertragen. Die Dirigentin entscheidet über den Beginn der Vorstellung, gibt das Tempo vor und beendet schließlich die Oper zum erlösenden Applaus. Dass alle Akteure auf sie achten, ist die Grundvoraussetzung für einen reibungslosen Ablauf des gesamten Abends.


 

Jede Sekunde zählt
Sie ist die zweitwichtigste Person für einen reibungslosen Ablauf dieses Abends: Inspizientin Carolina zu Löwenstein. Tagsüber studiert sie Musiktheaterwissenschaften in Bayreuth, abends die Partitur von Aida. Mit einem Auge auf den Noten und dem anderen auf die Dirigentin, verfolgt sie jeden einzelnen Takt und ist per Funk direkt mit den Garderoben und Maskenräumen sowie der Technik und der Regie verbunden. Darüber gibt sie Sängern und Chor Anweisungen, sich hinter der Bühne einzufinden und den Startschuss für ihre Auftritte.


 

Maßarbeit bis zur letzten Minute
Auch die Leitung der Kostümmanufaktur, Juliane Trockenbacher, steht mit ihrem Team aus SchneiderInnen und AssistentInnen während der ganzen Vorstellung hinter der Bühne bereit. Alle Kostüme wurden nach den Entwürfen von Kostümbildnerin Andrea Schmidt-Futterer maßgeschneidert und in liebevoller Detailarbeit von Hand angefertigt. Nicht nur für die Solisten – auch für den gesamten Chor aus 59 Sängern. In der Hektik der Premiere kommt es schon einmal vor, dass spontan ein abgerissener Knopf angenäht oder ein verrutschtes Outfit zurechtgerückt  werden muss.


 

Der letzte Akt
Geschafft! Die Premiere lief reibungslos, das Publikum applaudiert und man kann die Steine förmlich von den Herzen fallen hören. Was monatelang studiert, eingeübt, hier und dort noch einmal verändert und bis zur Perfektion geprobt wurde, findet mit der Premiere endlich seinen Höhepunkt. Hinter der Bühne fallen sich die Sänger und Mitarbeiter euphorisch und auch ein bisschen erschöpft in die Arme. Doch ein paar Mal müssen Sie heute noch nach draußen – um sich ihren wohlverdienten Applaus abzuholen.