"I puritani"
TFE: Hast Du jemals ein hohes F gesungen?
Jonas Kaufmann: Ja, das habe ich. Meine Stimme ist glücklicherweise sehr lang. Nach unten geht sie bis zum tiefen D. In meinen jungen Jahren konnte ich in der Kopfstimme das hohe F der Königin der Nacht singen. Das habe ich jetzt nicht mehr, aber wenn ich mich einsinge, ist ein Eb oder E immer noch drin. Früher, als meine Stimme jünger und biegsamer war, hatte ich dieses F ganz locker. Aber es ist schon ein sehr spezielles Fach, das auch sehr einschränkt. Es gibt nur sehr wenige Sänger, die den extremen Anforderungen der "Puritani" gerecht werden und gleichzeitig Wagner und Co. singen können... Das klappt einfach nicht.
TFE: Was für einen Typus Tenor braucht man für die "Puritani"?
JK: Juan Diego Florez ist ein ganz klarer Fall dafür. Seine Stimme ist sehr weich, biegsam und hat ein helles Timbre. Sie liegt höher, was zur Rolle passt. Siegmund wäre für ihn schwierig, weil man dort gegen ein großes Orchester tiefe Töne laut genug singen muss. Dafür geht seine Stimme oben auf. Wir wissen alle, wie oft er die "Fille du régiment" gesungen hat. Und dann hat er die berühmte Arie auch noch gelegentlich wiederholen müssen. Das macht dann insgesamt... 18 hohe Cs. Ich will nicht sagen, dass das C für ihn Mittellage ist... aber es ist eben nicht so, dass das C für ihn ein Spitzenton wäre: Es liegt satt in seinem Stimmumfang. Dieser Typus Tenor ist genau für dieses Repertoire geschaffen - und vice versa. Interessant ist außerdem, dass dieser Stimmumfang deckungsgleich ist mit dem von einem Alt, also einer sehr tiefen Frauenstimme. Noch leichter ist nur der Haute-Contre. Wenn man das Ganze als Farbspektrum betrachtet, dann wäre oben der Haute-Contre, ein leichter Spieltenor. Darunter kommt der lyrische Belcanto-Tenor, der schon einen etwas männlicheren Klang mitbringen muss.
TFE: Du hast im Laufe Deiner Karriere sehr unterschiedliche Rollen gesungen. Hat man Dir jemals die "Puritani" angeboten?
JK: Die "Puritani" hat man mir nie angeboten. In meinem Studium habe ich mir allerdings ernsthaft überlegt, Countertenor zu werden, weil eben diese Flexibilität in der Höhe da war. Aber das war dann für mich doch keine Perspektive, denn ich habe Gesang studiert, weil ich verismo singen wollte: Puccini, Leoncavallo, wie sie alle heißen. Das waren die Götter, für die ich gerne singen wollte! Und bei denen gibt es für Countertenöre herzlich wenig zu tun. Aber ich habe natürlich solche Opern wie "Barbiere" und "L'elisir d'amore" gesungen, sehr viele leichte Mozart-Partien wie z.B. Belmonte, Ferrando, Don Ottavio usw. Und das habe ich noch recht lange so gemacht. Ich bin einmal in "Così fan tutte" in Zürich eingesprungen und sang dort eine Serie von Aufführungen mit Cecilia Bartoli. Und quasi daneben habe ich in Zürich meinen ersten Parsifal gesungen. Ob man so eine "Fächervermischung" mag, ist natürlich eine Geschmacksfrage. Es ist ja eine Modeerscheinung geworden, dass man bestimmte Fächer nur mit ganz bestimmten Stimmen hören möchte. Das war früher nicht der Fall. Schaut man ältere Spielpläne an und sieht, wer dort was in einer Saison gesungen hat, dann ist es schier unglaublich, was dort teilweise von ein und demselben Sänger back to back gesungen wurde.
TFE: Warum hast Du die "Puritani" in den Spielplan genommen?
JK: Klein anfangen, das kann jeder. Wir wollten groß anfangen. Und "Puritani" ist sicher eines der Stücke, was am aller schwierigsten zu besetzen ist. Natürlich war uns klar, dass das nicht einfach werden würde, denn wir hatten auch nicht viel Zeit, um dieses Projekt zu realisieren. Aber wir hatten das große Glück, gemeinsam mit unserem künstlerischen Berater Ilias Tzempetonidis die besten Leute zu bekommen, die man sich vorstellen kann. Dementsprechend hat das in der Branche für Aufsehen gesorgt. Wir haben eine Besetzung, wo jedes Haus der Welt sagen würde: Gott, wenn die das mal bei uns machen würden, das wäre ein Erfolg... das bei uns in unserem kleinen Erl und in so kurzer Zeit. Unser Tenor ist der absolute König seines Fachs. Arturo ist eine seiner Paraderollen. Er ist wahnsinnig gefragt. Die Branche steht Schlange, um unsere "Puritani" zu hören. Sogar einige berühmte Casting-Direktoren haben sich angekündigt, weil sie hören wollen, wie wir das hier machen. Unser Mut hat uns recht gegeben.
TFE: Warum sollte man diese "Puritani" auf keinen Fall verpassen?
JK: Nicht alle mögen konzertante Aufführungen. Aber es ist schon so, dass eine konzertante Aufführung ein intensiveres musikalisches Erlebnis auslösen kann als eine szenische Aufführung. Inszenierungen, ganz unabhängig davon, ob sie gelungen sind oder nicht, können von der Musik ablenken und dazu führen, dass man sich nicht voll und ganz auf den Klang konzentriert. Ich habe oft an konzertanten Aufführungen teilgenommen, die bei niemandem das Gefühl ausgelöst haben, es hätte etwas gefehlt. Wenn man auch nur irgendwie Spaß an Belcanto hat, muss man eine Karte kaufen. Es wird in den nächsten Jahren kaum eine Produktion geben, die besser besetzt ist als unsere.
Die Fragen stellte Daniele Godor.