Hallo Jonas, ich freue mich sehr, dass du dir die Zeit für dieses Gespräch genommen hast. Meine erste Frage gilt deinem Faible für Österreich. Ob bei Wiener Liedern im Belvedere Park oder in Interviews über das Kulturleben in Salzburg - man spürt bei dir immer wieder: das ist eine ganz alte Liebe. Und soweit ich weiß, hat sie in Tirol begonnen.
Jonas Kaufmann: Das stimmt. Ich bin in München aufgewachsen, und von dort war man relativ schnell am Achensee in Tirol, wo meine Großeltern einen ehemaligen Bauernhof gemietet hatten, in dessen Stall der Nachbar noch sein Jungvieh hielt.
Neben unseren Italien-Reisen waren die unzähligen Wochenenden und Ferien am Achensee für mich die Highlights des Jahres. Der See, der Bauernhof, nachts die Kuhglocken hinter der Holzwand, die herrliche Landschaft - das alles versetzte mich sofort in Ferienstimmung. Da konnte ich mich frei bewegen und musste nicht, wie in München immer an Mutters Hand bleiben. Außerdem gab es hier einen alten schwarz-weiß TV und so wuchs ich mit dem Österreichischen Fernsehprogramm auf. Auf diese Weise habe ich neben Petzi und Am Dam Des durch Heinz Conrads neben Opernsängern auch alle großen Entertainer Österreichs kennengelernt, von Hans Moser bis Peter Alexander.
Wie wichtig ist dir Unterhaltung?
JK: Sehr! Unterhaltung ist so viel mehr für mich als nur zu lachen und sich auf die Schenkel zu klopfen. Gute Unterhaltung umfasst alles, was ein Publikum emotional erreicht und nachwirkt. Gute Unter haltung ist, wenn man mit einem Lächeln im Gesicht oder auch mit einer Träne im Auge das Theater verlässt. Das schlimmste Szenario, das man sich vorstellen kann, ist doch, dass das Publikum denkt: Wann ist denn endlich Pause?
Die Operette als Königsdisziplin hat in Erl noch keinen Platz gefunden. „Im weißen Rössl“ in Erl – mit Jonas Kaufmann! Wäre das nicht etwas?
JK: Auf den Spuren von Peter Alexander als Kellner Leopold? Zumindest den Hit „Es muss was Wunderbares sein“ habe ich oft gesungen, einmal auch im Duett mit Helene Fischer. Doch da wir hier nicht in Salzburg sind, sondern in Tirol wäre doch „Der Vogelhändler“ die erste Operetten-Wahl: immerhin kommt Adam, die Hauptfigur, aus Tirol!
Ist Erl eine Option für ein neues oder ein zweites Zu- hause?
JK: Vielleicht, in 20 Jahren, wenn der Jüngste aus dem Haus ist. Erl ist schon ein faszinierender Ort: eigentlich möchte man hier Urlaub machen und nicht arbeiten. Aber auch Musik erleben ist hier etwas anderes. Wenn ich in Berlin die Philharmoniker erleben möchte, muss ich mich durch den Trubel der Stadt kämpfen und habe dann vielleicht zehn Minuten im Foyer, um mich zu sammeln, bevor das Konzert beginnt. Und in Erl, mit nicht einmal 2000 Einwohnern, fängt diese Entschleunigung schon viel früher an. Das ist in dieser Größenordnung einmalig.
Werden wir Jonas Kaufmann auf TikTok erleben, wie er ein junges Publikum nach Erl lockt? Viele Kultur- einrichtungen gehen diesen Weg – Du auch?
JK: Lacht. Nein, ich denke, ich werde nicht auf TikTok zu sehen sein. Wir haben aber ein junges Team, das sich kreativ um unsere Präsenz in den sozialen Netzwerken kümmert. Ein neues jüngeres Publikum anzulocken indem man das ältere Stammpublikum vertreibt, so wie es bei Intendantenwechseln nicht selten vorkommt, halte ich für falsch. Ohne dieses Stammpublikum gäbe es uns nicht.
Aber ohne die Opern-Neulinge, die vielleicht irgend - wann zu den „Fortgeschrittenen“ dazugehören, auch nicht...
JK: Das ist klar, deshalb liegt es mir sehr am Herzen, dass alle, die zum ersten Mal zu uns kommen, auch wieder kommen. Wenn jemand kein Vorwissen hat, keine Aufführungs-Traditionen kennt, keine Tabubrüche feiern kann, weil er das Original nicht kennt, und dann nach seinem ersten Opernbesuch völlig frustriert nach Hause geht, weil er das Gefühl hat: ich bin hier falsch, das ist eine eingeschworene Gemeinschaft - so was darf nicht passieren.
Wie kannst du als Intendant dafür sorgen, dass das nicht passiert?
JK: Indem ich von Anfang an dabei bin, um zu sehen, wohin die Regie-Idee geht. Und nicht erst zum Schluss, wenn das Kind vielleicht in den Brunnen gefallen ist. Bei allen künstlerischen Freiheiten möchte ich die Produktionsschritte konstruktiv begleiten und mein Empfinden von Grenzen und Tabus zur Diskussion stellen.
Du bist als Sänger und Darsteller mit allen Bühnen-Wassern gewaschen. Sollten alle Intendantinnen und Intendanten „bühnen- approved“ sein?
JK: Grundsätzlich halte ich es für sehr erstrebenswert, wenn man Intendanten hat, die selbst das Gefühl kennen, auf der Bühne zu stehen. Menschen mit dieser Praxis-Erfahrung wissen, wie es ist, wenn man sich auf der Bühne nicht wohlfühlt. Man ist sensibilisiert und das hilft sehr im Intendanten-Beruf.
Wann fühlst du dich wohl auf der Bühne? Wenn eine Aufführung neue Welten eröffnet und Utopien sichtbar macht?
JK: Wenn sie uns in eine andere Welt entführt, uns etwas fühlen lässt, was wir im Alltag nicht fühlen. Eben deshalb war Oper lange Zeit so erfolgreich und beliebt wie heute das Kino.
Kann sich die Oper nicht etwas vom Kino zurückholen?
JK: Ich finde es faszinierend, wie Kino und Serien sehr erfolgreich auf einer Retro-Welle reiten. Denken wir an die ganzen Serien über Königshäuser, vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, oder an die zahlreichen Fantasy- Stoffe bei Netflix, Amazon und Co. Man taucht in eine völlig andere Welt ein. Mit Akribie werden dafür Bühnen- und Kostümbilder her- gestellt. Das finden Viele wesentlich spannender als Leute, die im schwarzen Anzug auf der Bühne stehen. So etwas sehen Sie doch jeden Tag.
Also gibt es zu Ostern „Parsifal“ mit richtigem Speer und Gral?
JK: Wir werden eine moderne Lesart zeigen, eine Welt fern aller konkreter Vorstellung von Raum und Zeit. Aber der Speer ist ein Speer und der Gral ist der Gral. Dass man diese Elemente nicht „übersetzt“ ist ja fast schon eine kleine Revolution.
Und welche Opern sind sonst noch geplant?
JK: Im Sommer bringen wir das populäre Trio von Verdi: „Rigoletto“, „Il Trovatore“ und „La Traviata“. Diese Blockbuster kombinieren wir mit einer Oper von George Benjamin, die erst 2023 uraufgeführt wurde und die sicher kaum jemand kennt. Und „Herzog Blaubarts Burg“ von Bartok in der Regie von Claus Guth.
Da dein Zuhause in Salzburg nur einen Katzensprung entfernt ist, wird man dich in Erl ja öfters zu sehen bekommen…
JK: Im Büro des Intendanten und im Zuschauerraum definitiv! Da kann ich von Salzburg in Hausschuhen herkommen und in der Nacht wieder zurückfahren, falls nötig. Aber eben nur, wenn ich gerade in Salzburg bin; da ich als Sänger noch nicht in den Ruhestand gehen möchte, wird die eine oder andere Fahrt nach Erl dann auch etwas länger dauern.